You are currently viewing 20 Tage Wellen, Wolken, Wind: unser erstes Atlantik-Crossing mit Santana

Es ist der 15.11.2022. Ich mache einen letzten Besuch im Office der Marina Mindelo und bei Rasta. Eine kurze Umarmung und die Übergabe unserer letzten Escudos. Ein letzter Blick auf das bunte Treiben auf den Straßen Mindelos. Dann sind auch schon die Marinieros da, um uns beim Ablegen zu helfen. Es geht los. Wir haben getankt, eingekauft, alles seefest gelascht und wir sind aufgeregt. Nicht negativ nervös, sondern eher gespannt und konzentriert. Heute geht es zwischen den kapverdischen Inseln wieder hinaus auf den Atlantik, Kurs 260°, Heading Französisch Guyana. Wir sind ausgerüstet für weit mehr als vier Wochen, haben uns ausgeschlafen und freuen uns auf das Segelsetzen.

Bye bye, Mindelo! Die Marinieros werfen uns los!

Wir fahren unter Maschine zwischen den Ankerliegern hindurch, winken noch einmal der Chronos zu, deren Crew uns so nett mit Wein versorgt hat und dann wird erst die Stadt und kurz danach auch schon die Insel Sao Vicente immer kleiner. Der Wind weht zunächst nur seicht, aber wir kennen die Wettervorhersage der nächsten Tage: Wind kommt sicher! Als wir erfahren, dass es in Böen bis Windstärke 8 wehen soll, entscheiden wir uns, einen südlicheren Kurs zu laufen. Eine gute Entscheidung, denn so haben wir auf dem größten Teil der Reise meist 5 Beaufort von achtern. Der berühmte Nordost-Passat erweist sich für dabei uns fast ausschließlich als Ost-Passat, aber wir kommen gut klar so „platt vor dem Laken“. Alle an Bord steuern sicher und gut, so dass keine Patenthalsen drohen, was bei 3 Meter Welle ja schnell mal passieren kann.

Und so beginnen die Tage und Nächte auf dem Atlantik und nachdem alle Segel gesetzt sind und die erste Aufregung abgeklungen ist, grooven wir uns ein in unseren 4 Stunden Wachrhythmus. Für mich heißt es von nun an jede Nacht von 0-4 Uhr Wache in der ich den neuesten Wetterbericht über Satellit empfange und mit unserem Freund Robbi kommuniziere, der für uns die Großwetterlage im Blick hat, der uns wertvolle Tipps gibt und gleichzeitig mit Nachrichten versorgt (Deutschland ist bei der WM ausgeschieden und so weiter). Nach der Wache schlafen wir bis ca. 8.30 Uhr und frühstücken dann an Deck. Danach ein bisschen lesen, übers Wetter fachsimpeln, kochen. Zum High Noon um 12 Uhr müssen wir dann wieder ran für 4 Stunden. Die Sonne brennt und wir wässern regelmäßig das Deck, um uns nicht die Füße zu verbrennen. Eine Besonderheit bei uns: wir gehen Ruder! Der Autopilot läuft nur, wenn wir gemeinsam zu abend essen. Wobei „Abend“ immer schon um 16/17 Uhr ist, weil danach die Nachtwachen teilweise schon wieder in die Koje verschwinden – so auch ich. Und um Mitternacht geht es dann wieder von vorne los.

Eine Zeit lang ist alles leicht und seicht, aber wir lernen, dass Langfahrt nicht nur ein Leben mit Wellen, sondern vor allem auch ein Leben in Wellen mit Hochs aber eben auch mit einigen Tiefs bedeutet. Ein paar dieser „Wellen“ will ich euch hier kurz darstellen:

Auf…
Sonnenuntergang unter Segeln…wunderbar!

und ab…
Der mühsam vorbereitete Kartoffelgratin in Sahne mit Knoblauch ist im Rohzustand auf dem gesamten Messefußboden verteilt. Eine kleine Unachtsamkeit und die Schiffsbewegungen machen viel Arbeit zunichte. Verzweiflung, Putzen aller Luken und Böden bei viel Welle. Ätzend!

Auf…
Eine Gruppe Pilotwale schwimmt am Schiff vorbei, begutachtet uns und taucht wieder ab in die Tiefe des Meeres. Gänsehaut.

und ab…
Es rummst im Maschinenraum und alle Lichter gehen aus. Eine Batterie hat sich gelöst, die Stromversorgung für das gesamte Schiff inklusive der Navigation ist unterbrochen. Wir hieven die schwere Batterie wieder in Position, verbinden alle Kabel neu und haben Glück im Unglück. Herzklopfen.

Auf…
Meeresgeburtstag um Mitternacht. Meine Luke geht auf und im Dunkel erahne ich unsere Crew. Klausis Stimme leitet ein Ständchen ein und es gibt eine kleine Party mit einem kleinen Gläschen Rotwein und einem Stück Geburtsagskuchen – 1000 Meilen entfernt vom Land. Unvergessen.

Es gibt Kuchen um Mitternacht! Meeresgeburtstag 41 auf dem 41. Längengrad

und ab…
Blitze überall am Horizont. Schwarze Wolken neben und über dem Schiff. Squalls: Kleine athmosphärische Störungen, die uns von Backbord achtern einholen mit enormen Windgeschwindigkeiten überholen, Regen und einen Windsprung von 20° bringen. Wir reduzieren die Segelfläche und segeln nur noch mit Schoner und Fock. Im Squall selber fieren wir die Piek weg und überstehen diese turbulenten Momente eigentlich gut. Aufregend sind sie trotzdem und natürlich passiert so was immer in der Nacht. Dank unseres guten Radars sehen wir sie kommen, können uns vorbereiten und wissen auch genau: gleich ist es geschafft.

Auf…
Delphine! 20-30 Tiere sehen wir schon in der Ferne auf Santana zusausen. Die quirligen Tiere spielen mit den Wellen und dem Schiff und wir lassen uns von ihrer Energie und Lebensfreude anstecken. Lange stehen wir am Bug und genißen das Spektakel während Otto (unser Autopilot) steuert.

und ab…
 „NAAASS, NAAASS, NAAAAASS!!!“ – Klausis Schrei aus der Koje bleibt unvergessen. Ein kleines Bulleye war nicht verschlossen und als Santana bei einem der Querschläger (alle 20 Wellen kommt mal eine aus einer anderen Richtung) überholt, fließt das Wasser in Massen genau auf den schlafenden Klaus. Unsere Koje mitsamt Decken, Laken und Kopfkissen sind mit Salzwasser getränkt. Ein Fehler, der uns den Rest der Reise beschäftigt, denn ganz trocken kriegen wir die Sachen ohne viel Frischwasser nicht mehr…das geht an die Substanz.

Auf…
Crepes á la Breton! Dank unserer beiden Franzosen, Elouan und Leo, werden wir eines Tages mit Crepes verwöhnt. Wir schlemmen und schlagen uns den Magen voll. Herrlich. Elouan und Leo sind auf dem Weg nach Chile, um dort ein Französisch-Chilenisches Musikfestival zu organisieren. Ihr Ziel: nicht mit dem Flugzeug reisen. Auf den Kap Verden haben Sie wie auch einige andere segelnde „Backpacker“ ein Crossing gesucht. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und die beiden mitgenommen. Zwei Crewmitglieder mehr bedeuten, dass wir zu zweit Wache gehen können – sehr angenehm!

und ab…
Strom gegenan. Wir kommen kaum voran trotz gutem Wind. Geduld ist gefragt.

Auf…
Strom mit. Wir machen 7 Knoten Fahrt und Etmale von 120 Seemeilen. Stark!

und ab…
nochmal 1000 Meilen…

Auf…
Nur noch 1 Tag!

und ab…
Auf einmal haben wir kein blaues Wasser mehr!
Wie mit einem satten Pinselstrich gezogen, ändert das Wasser seine Farbe von Azurblau in Smaragdgrün. Nun sind es auf einmal nicht mehr 3000 m, sondern innhalb weniger Minuten nur noch 200  m, später nur noch 70 m Wasser unterm Kiel. Kurze Zeit später wieder eine Linie. Aus smaragdgrün wird lehmbraun.

Aus Blau ird grün, aus grün wird braun. Hier beginnt der Maroni

Auf…
Lehmbraun ist nicht so schön wie azurblau, bedeutet aber auch: Wir erreichen die Flußmündung. Die Tide kippt gerade und der Maroni beginnt uns „anzusaugen“. Und mit einem Mal explodieren unsere Sinne. 20 Tage Salz, Wellen, Wolken und jetzt!: Regenwaldgeruch. Urwaldgeräusche. Schmetterlinge, Vögel und Insekten um uns herum. Bäume, Blumen, Büsche, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Wir wissen gar nicht, wo wir zuerst hinsehen sollen, aber die Tide reißt uns mit, das Fahrwasser ist eng und anspruchsvoll. Alles passiert gleichzeitig und dann sind wir da. Nach 20 Tagen. Nach 2000 Seemeilen. Wir machen die Leinen fest und können es noch gar nicht glauben. Ich klettere als erste die Fender hinauf und stehe auf festem Boden. Ein ungewohntes Gefühl. Wir haben es geschafft und es war eine tolle Überfahrt. Wir sind stolz und dankbar.  

Und auf einmal ist alles grün um uns herum!

Und die „Ab´s“ sind schnell verarbeitet.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Falk

    Schön von der langen Überfahrt zu lesen von den auf und ab von der bildhaften Beschreibung der Veränderung der Wasserfarbe von den Schockmomenten und von den Entspannungsphasen wäre gerne dabei gewesen nicht unbedingt beim Duschen mit Meerwasser während ich schlafe sondern eher bei dem Moment wo eure seebeine festen Boden berühren und es wahrscheinlich sehr lustig aus sah und ich weiß wie ich mich gefühlt habe nach 12 Stunden Ostsee bei relativ im gesetzlichen Rahmen erlaubten Wind und Wellenhöhe beim Hochseeangeln in den ersten 1 bis 2 Minuten wieder an Land vielleicht könnt ihr ja beim nächsten Mal ein kleines Video davon drehen wie ich gerade gelesen habe an anderer Stelle folgt das Bildmaterial ich grüße Euch von ganzem Herzen und wir wünschen noch mal eine schöne Adventszeit euer Stalker

  2. Erich Zinner

    Ich kann so richtig an der Reise teilnehmen, gehe beim Lesen immer Auf und Ab. Trotz kleiner Problemen seid ihr gut in French-Guayana angekommen. Allein die verschiedenen Laute aus dem Regenwald würden mir einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Ihr seid zu beneiden.

  3. RoR

    Jau, es war immer spannend morgens zu sehen, wie weit ihr gekommen seid – und ob das Wetter auch das gemacht hat, was es sollte. Das die von mir errechneten Distanzen nicht unbedingt immer dem entsprochen hat, was ihr euch als Etmal in die Bücher geschrieben habt, liegt an den unterschiedlichen Zeiten zu denen die Positionen genommen wurden. Und an den Zeitumstellung.en.
    Aber immer gerne wieder!

    Datum Position
    Mindelo 16°53,3’N 24°59,2’W
    17.11.2022 16°28,7‘N 26°07,5‘W 180
    18.11.2022 15°42,5‘N 28°04,4‘W 120
    19.11.2022 14°54,3´N 29°07,3‘W 80
    20.11.2022 13°21,1´N 30°00,3’W 105
    21.11.2022 12°06,9´N 31°29,3W 114,5
    22.11.2022 11°58,7’N 32°20,5W 108,6
    23.11.2022 11°42,8’N 33°49,9’W 89,5
    24.11.2022 11°32,1N 35°05,5W 74,5
    25.11.2022 11°04,6N 36°30,8W 89
    26.11.2022 10°43,2N 37°56,2W 86,5
    27.11.2022 10°14,9N 39°28,2W 94,8
    28.11.2022
    29.11.2022 9°31,1N 41°53,4W. 149,6
    30.11.2022 9°06,8 N 43°18,9’W 88,6
    01.12.2022 08°48,9N 44°45,9W 87,9
    02.12.2022 8°13,3N 46°06,5W 87,8
    03.12.2022 7°08,3N 47°41,1W 113,5
    04.12.2022 6°34,5N 49°02,8W 87,7
    05.12.2022 6°15,0N 50°35,2W 93,8
    06.12.2022 5°52,2N 52°55,9W 142
    1993,3

  4. Ursulalelu

    Mein liebster Blog!
    Wie ich es liebe, eure Reise ein wenig mitverfolgen zu können. Super beschrieben, so kraftvoll und bunt und emotional – das mag ich sehr.
    Nun freu ich mich auf die Bilder.
    Alles Liebe aus Bad Homburg

  5. Köni

    Liebe Katha, was hast Du mit Fest undFlauschig
    gemeinsam? Wenn die eine Pause mit ihrem Podcast machen, z.B. in den Sommerferien, freue ich mich dass es wieder losgeht. So ist es auch mit den „Blockpausen“bei Dir. Man schaut und wartet, dass der nächste Reisebericht erscheint und Zack schon ist er hier? oder da? Du weißt schon 😊 Dieser Bericht über die 2000 Meilen ist einfach so mega, dass es sich so anfühlt, ein kleines bisschen dabei zu sein .Wunderschöne Bilder, faszinierend ……………
    Vielen Dank für die Mühe und alles Gute weiterhin für Euch! Ich glaube ich hab mal Lust die Inselklause, Inselklause sein zu lassen, mache Urlaub im Mai- Juni, habt Ihr n Idee wo ich hinreisen könnte? Dänemark? Malle? Oder Mailand? Hauptsache Spanien 😂

  6. kathaundklaus

    Hey Köni! Keine Ahnung, aber fahr bloß nicht nach Portugal und schon gar nicht auf die Azoren! 🙂

  7. kathaundklaus

    Mega, danke Robbi für deine seemännische Beratung! Du hast uns immer sehr geholfen und wir haben uns jede Nacht über deine Mails gefreut!

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